INTERVIEW MIT PETR URBAN, 13.08.2012 (AUSZUG)

Herr Urban, wie hat sich Ihr Humor in den letzten 20 Jahren entwickelt?
“Ich habe etwas Ruhm erlangt durch die Tatsache, dass ich Themen zeichnete, die so derart normal waren, dass es schon langweilig sein musste, wie Kneipe, Sport, und Pilzesammeln. Alles Dinge, ohne eine grosse Aussage. Die Kneipenszenen und die Witze über Trinkgelage hatten dabei den grössten Erfolg. Aber es entsprach auch der Alltagsszenerie. Zu kommunistischen Zeiten war die Kneipe der einzige Ort, an den man gehen konnte – billig war es obendrein. Heute ist die Situation anders, wir trinken weniger. Früher traf man sich, um Dinge zu lösen und Gerüchte zu hören und zu verteilen. Heute ist es sehr viel teurer und die Alkoholiker trinken zuhause allein. Auch als Wirt ist die Situation heute anders. Eine Bar macht Dich nicht mehr reich, Du kannst gerade Deine Familie versorgen. Ein Wirt von früher hatte Geld. Besonders auf dem Land ist die Situation so. Noch in der ersten Rebublik hatten wir in meiner Heimatstadt über 50 Kneipen, alle genauso voll wie ihre Gäste. Die Älteren erzählten mir, da gab es noch „kurva za polivka“, eine Prostituierte für eine Suppe. Das zeigt, dass alles, aber auch wirklich alles in Kneipen geregelt und organisiert wurde. Nach der Arbeit ging man in die Kneipe, trank zehn Bier und hatte ein wenig Spass, und dann zur Frau nach Hause.
Heute sind es immernoch die Alltagsthemen nur die Realität hat sich eben geändert.“
Sie leben grenznah zu Deutschland und kennen diese Nation ganz gut. Wie ähnlich ist der Humor?
„Den westliche Humor vor der Wende konnte ich gar nicht erfahren, sondern nur den ostdeutschen,
der sich zu den anderen kommunistischen Arten gesellte wir kubanisch, bulgarisch und russisch. Heute ist das schwer zu sagen. Ich glaube, es gibt immer noch unterbewusste Altlasten. Ich will damit dagen, dass der Druck der Kommunisten auf die Künstler so stark war, dass bis heute viele Zeichner sich noch immer mit den Alltagsthemen beschäftigen.  Mit Ausnahme des politischen Humors. Auch ich bin in diesen alten Gleisen geblieben: Sport, Sex, Kneipe. Von jedem etwas. Manchmal zeichne ich einen politschen Joke, aber in der Regel bleibe ich bei meinen Leisten.
Also keine Unterschiede?
Ich habe den Eindruck als gäbe es keinen generellen Unterschied zwischen CZ und GER. Ich denke manchmal sogar, dass zwei
Tschechen untereinander oder zwei Deutsche untereinander meist mehr Differenzen zueinander aufweisen als ein Deutscher und ein Tscheche. Die Themen sind genereller geworden, irgendwie europäischer. Wir Tschechen sind vielleicht ein wenig härter und haben kaum Tabus bezüglich Religion und Moral. Daher können wir anzügliche Witze verbreiten, ohne gleich die Sitte vor der Tür zu haben. Das liegt noch immer an der Wende-Situation. Durch das Verbot vor 89 war die Gier, gerade zum sexuellen Witz in diesem Land enorm. Ich habe zu diesem Thema hunderttausende von Büchern verkauft und die Menschen mögen mich dafür. In der Gegenwart wird diese Tendenz immer weniger und ich sehe keinen grossen Differenzen mehr. Von landestypischen Ausnahmen natürlich abgesehen. Kein Mensch in Deutschland würde einen Witz verstehen, in dem Karpfen und Weihnachten eine Rolle spielen. Aber dieser Fisch ist nunmal das Nationalgericht in dieser Jahreszeit in unserem Land, also funktioniert der Witz hier.“
 
Gibt es also einen neuen europäischen Witz?
„Ich glaube nicht, denn der Macher der Witze funktioniert nur in einem Gebiet in dem er sich auskennt. Die Umgebung, der Alltag, die Probleme. Und diese werden in jedem Land unterschiedlich behandelt. Nehmen  Sie Themen wie Behinderungen.In Tschechien „dürfen“ wir darüber lachen, weil es unser Naturell ist und kein Mensch nimmt einem das übel. In Deutschland wäre das ein Problem, glaube ich. Komischerweise hat Tschechien Probleme mit rassistischem Humor, obwohl die Öffentlichkeit es sicherlich möchte. Die ganze Roma-Thematik lasse ich aus, ganz ehrlich nur aus dem Grunde, weil ich keinen Ärger will. Als Humorist und Satiriker brennt mir das natürlich unter den Nägeln, gerade weil dieses Themenfeld so schön in der Schwebe hängt und keiner sich traut zu sagen, was das Volk lange denkt. 90 Prozent aller Straftaten in
Tschechien von unter 16jährigen werden von diesen „Nichteinord-baren“ vollbracht. Das weiss der Staat, das weiss das Volk und die Polizei, und alle schweigen – ich auch.
Darf Satire nicht alles?
Nicht, wenn man keine Konsequenzen möchte. Aber zurück zu den brauchbaren Europäern: Je globaler ein Witz wirken soll, desto unspezifischer müssen die Themen sein. Aber das ist auch eine neue Spielwiese, weil ein Level geschaffen werden muss mit neuen Ideen, neuen Thematiken und neuen Witzen. Wichtig ist und bleibt, dass Menschen irgendetwas in einem Witz wiedererkennen müssen aus ihrer eigenen Welt – nach diesen Themen muss man Ausschau halten.“

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